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Oberstdorf.  Gestern, Heute und Morgen.
Das Bayernland 1906 Seite 73
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Das Bayernland 1906

Artikel über Oberstdorf von A. Engelhart in "Das Bayernland", einer "Illustrierten Wochenschrift für Bayerns Volk und Land" aus dem Jahre 1906

Ganz zufällig bin ich über dieses über 100 Jahre alte journalistische Kleinod gestossen - Der Autor beschreibt darin Oberstdorfs Vorzüge und lobt unsere Heimat in höchsten Tönen. Manchmal etwas übertrieben und lehrerhaft, aber immer sehr unterhaltsam. Der Artikel endet mit "Fortsetzung folgt". Sollte ich die Fortsetzungs-Ausabe einmal finden, wird sie hier natürlich ergänzt.

Daten

  • Illustrierten Wochenschrift für Bayerns Volk und Land
  • Herausgegeben von H. Leher
  • Druck und Verlag von R. Oldenbourg in München
  • Ausgabe Nr 7 im 17. Jahrgang 1906
  • Beitrag beginnt ab Seite 75

Text

Wanderbilder aus dem bayerischen Allgäu

Von A. Engelhart

Es gibt nicht viele Orte in den Bayerischen Alpen, die für den Hochtouristen ein so günstig gelegenes Standquartier bieten, wie Oberstdorf. In einem weiten, völlig ebenen Talkessel von 4 1/2 km Länge und 3 km Breite gelegen, ist es ringsum von bedeutenden und lohnenden Gebirgsgruppen umgeben, zu denen allen von hier aus gute und bequeme Zugänge führen. Eine größere Mannigfaltigkeit von interessanten Hochtouren wird wohl selten auf so engem Raum vereinigt sein wie hier. Von den bequemen und leichtesten bis zu den ernstesten und schwierigsten Gipfeln finden wir hier; sie alle aber wetteifern mit einander in den Genüssen, welche sie dem Bergsteiger bieten. Nicht einen gibt es unter ihnen, der den Wanderer nicht reich für seine Mühe lohnte und befriedigte. Der Bescheidenste wie der Anspruchsvollste, der Bequeme wie der Kletterfreudigste kann hier seine Rechnung finden.

Aber nicht nur der Hochtourist findet sie. Auch dem Talbummler, der sich die Berge am liebsten von unten ansieht und nur die wenig anstrengenden Spaziergänge liebt, oder dem es aus irgendwelchen Gründen versagt ist, zu den hochragenden Felsgipfeln emporzusteigen und auf luftigen Gratwegen zu wandeln, bietet die Umgebung von Oberstdorf überreichen Genuß. Der leichten und bequemen und dabei genußreichen Spaziergänge ist hier eine so große Zahl, daß man schon länger in Oberstdorf Aufenthalt nehmen und sehr fleißig im Gehen sein muß, wenn man sie alle machen will. Nie wird man in Verlegenheit kommen, wohin man seine Schritte lenken soll. Seit mehr als 30 Jahren arbeitet der Verschönerungsverein Oberstdorf mit größtem Eifer und besten Geschick an der dankbaren Aufgabe, die natürlichen Vorzüge des Ortes und seiner Umgebung noch zu erhöhen und die schönsten und interessantesten Punkte bequem erreichbar zu machen. So hat derselbe mehr als 28 km Wege angelegt, alle bequem und solid und auch bei Regenwetter gut gangbar. Zahlreiche Ruhebänke sind längs derselben an den schönsten Punkten angebracht, und der Plätzchen, an denen man mit einem Buche oder in stiller Beschaulichkeit der Ruhe sich hingeben kann, ist eine große Zahl.

Es geht die Rede, in Oberstdorf sei es sehr heiß. Ich habe wiederholt meinen ganzen vierwöchentlichen Urlaub dort zugebracht, und zwar in der Zeit vom 15. Juli bis 15. August, aber ich habe nie unter zu großer Hitze gelitten. Gerade an hellen, sonnigen Tagen weht eine so angenehme, erfrischende Luft das Tal herein, daß die Hitze nicht sonderlich fühlbar wird, wie denn überhaupt die Luft eine köstliche ist.

Gewiß, recht sonnig liegt Oberstdorf da, und wenn man den Talboden überschreiten will, so muß man ein gutes Stück in der Sonne gehen. Aber muß man dies nicht anderswo auch? Und ist denn das so schrecklich? Ist nicht die Sonne eine der gewaltigsten Quellen der Kraft und Gesundheit? Die meisten Menschen wissen gar nicht, wie die Sonnenstrahlen Leib und Seele stählen und stärken. Sonst würden sie dieselben nicht so ängstlich meiden. Wir hätten ein viel gesünderes und kräftigeres Geschlecht, wenn sich nicht so viele Leute von Jugend auf so vor der Sonne fürchteten.

Im übrigen fehlt es in der Umgebung von Oberstdorf durchaus nicht an Schatten. Die meisten der oben erwähnten Wege führen durch prächtige, schattige Anlagen oder Wälder, so daß auch verwöhnte und empfindliche Naturen zu ihrem Rechte kommen. Ich erinnere nur an die einzig schönen, vielgerühmten Trettachanlagen und die Fortsetzung dieses Weges im Oytal, oder an den reizenden Morgenweg an den Ufern der Trettach, oder auch an den neuen Rodelweg am Westufer der Stillach.

Der Ort, welcher nach dem großen Brande im Jahre 1865 zum großen Teil neu aufgebaut ist, macht einen recht freundlichen, angenehmen Eindruck. Die Straßen sind gut gepflegt und sauber. Die meisten Häuser, unter welchen sich auch prächtige und vornehme Villen finden, sind für das Vermieten an Sommerfrischler gut und behaglich eingerichtet. Vielfach besitzen sie hübsche, schattige Hausgärtchen mit Lauben, in der Regel auch geräumige Balkone, die auch bei schlechtem Wetter den Aufenthalt im Freien ermöglichen. An guten Gasthäusern ist kein Mangel. Die Leute sind freundlich und zuvorkommend.

Die Preise für Quartier und Verpflegung sind mäßig. Was den Aufenthalt auch für solche Familien angenehm macht, welche Ihre Verpflegung nicht durchweg im Gasthof suchen, ist der Umstand, daß alle Lebensmittel im Orte zu haben sind. Auch ein gutgeführtes Café mit Zeitungen ist am Orte.

Während der Saison wird jeden Sonntag evangelischer Gottesdienst gehalten, wofür, bis die geplante Kirche fertig ist, die Marktgemeinde ihren ziemlich geräumigen Rathaussaal zur Verfügung stellt.

Oberstdorf (= das oberste Dorf) wird erst vom 14. Jahrhundert an urkundlich erwähnt, während verschiedene Orte in der Umgebung älter zu sein scheinen. Die Bewohner gehören, wie der größte Teil der Allgäuer Bevölkerung dem alemannischen Volksstamm an. Am Marktplatz steht, von schattigen Bäumen umgeben, die stattliche Pfarrkirche des hl. Johannes. Um dessen Tage im Jahre 1419 eingeweiht, wurde sie im Jahre 1865 durch den Brand bis auf den Turm völlig zerstört und dann wieder neu aufgebaut. Schön und beachtenswert sind in ihr die drei Altäre mit recht guten Holzschnitzereien, welche sich auf die den drei christlichen Hauptfesten zugrunde liegenden Heilstatsachen beziehen. An den Altären sind Flügeltüren angebracht, durch welche die genannten Skulpturen verschlossen werden können und welche mit trefflichen Ölgemälden geschmückt sind. Dasjenige am Hauptaltar, Christus am Olberg darstellend, gehört zu den besten Schöpfungen des berühmten J.B.v. Schraudolph, des Schöpfers der herrlichen Fresken im Speyerer Dom, wogegen die "Verkündigung" am linken und "Jesus im Tempel" am rechten Seitenaltar von Claudius Schraudolph, einem Bruder des Vorhergenannten und Begleiter des Königs Otto nach Griechenland, gemalt sind. Beide Künstler sowie deren dritter Bruder Lukas Schraudolph, gestorben als Benediktinerfrater zu Metten, sind Oberstdorfer Kinder. Die Straße, in welcher ihr im Jahre 1865 mitverbranntes Geburtshaus stand, ist nach ihnen Schraudolphstraße gennant. - Ein anderes berühmtes Gemälde, J.B. v. Schraudolph seiner Heimatgemeinde geschenkt hat, befindet sich in der am Nordausgang des Ortes gelegenen Nikolaikapelle. Dasselbe stellt die Stiftung des Rosenkranzes dar.

Auf dem Marktplatz steht ein hübsches Kriegerdenkmal von 1870/71, ein aus Erz gegossener ruhender Löwe, mit der Tatze das bayerische Wappen haltend, eine Schöpfung des Erzgießers Ferd. v. Miller. - Auch in Oberstdorf besitzt Se. Kgl. Hoheit der Prinz-Regent eine Jagdvilla, zwar einfach, aber sehr hübsch, in einem schattigen Garten gelegen, in welcher der hohe Herr, dem auch in der Umgebung Oberstdorfs bedeutende Jagdgründe eigen sind, alljährlich im September einige Zeit zubringt.

Den schönsten und umfassendsten Überblick über Oberstdorf und den dasselbe umgebenden Bergkranz genießt man vom Jägersberg oder von Wasach, beides Wirtschaften, welche auf einem nordwestlich von Oberstdorf an der Breitach ins Illertal vorspringenden Höhenzuge gelegen sind. Von hier aus überschaut man den ganzen weiten Talboden, auf welchem der stattliche Markt sich ausbreitet, von grünen, mit zwei größeren Wasserläufen durchzogenen Wiesen umgeben. Hier zeigt sich so recht die schöne, ebenmäßige Gliederung der von allen Seiten fächerförmig ins Illertal einmündenden Täler, über welchen in erhabener Schönheit die kühnen Felsgipfel sich aufbauen.

HIer oben kann man stundenlang sitzen und schauen, und doch sich nicht satt sehen an dem einzig schönen Bild, in welchem Lieblichkeit und Großartigkeit zum schönsten Bunde sich einen. Zumal am Abend ist's hier wunderschön, wenn der untergehende Sonne Strahlen die grauen Felsenhäupter zum Abschied in Purpur kleiden und die grünen Matten und Wälder mit ihrem goldigen Schimmer verklären und stiller Friede such herniedersenkt auf Berg und Tal.

Alle die Spaziergänge und Ausflüge zu schildern, welche von Oberstdorf aus unternommen und empfohlen werden können, ist umöglich, wenn diese Aufsätze sich nicht ins angemessene ausdehnen sollen. Nur die hauptsächlichsten sollen berücksichtigt werden.

Neben Einödsbach und der Birgsau, welche wir auf unserem Abstieg von der Rappenseehütte schon kennen gelernt haben, gehört zu den schönsten Ausflügen Oberstdorfs unstreitig derjenige in die Spielmannsau im Tale der Trettach. Der schönste Weg dahin für durch die schon erwähnten Trettachanlagen. Die beiden Täler der Trettach und Stillach, die beide gleichlaufend von Süden nach Norden ziehen und im weiten Boden bei Oberstdorf sich zusmmen finden, werden durch den Himmelsschrofen getrennt, einem langen Gebirgszug, welcher sich, von der Hauptkette an der Mädelegabel bzw. dem Tretttachschrofen abzweigend, nach Norden vorschiebt. Vom Himmelsschrofen geht ein flacher und schmaler Höhenrücken bis an Oberstdorf heran, der die Trettach und dem tiefer gelegenen Talboden der Stillach scheidet. An der Ostseite dieses Höhenrückens, dem Laufe der Trettach folgend, hat der Verschönerungsverein eine Weganlage geschaffen, die ihm zur höchsten Ehre und den Sommerfrischlern zur größten Befriedigung gereicht - Durch dichtesten Wald führt dieser vorzüglich angelegte und sorgfältig unterhaltene Weg in bequemer Steigung und Senkung am Hang entlang. Zahlreiche Ruhebänke, an lauschigen Plätzen angebracht, laden den Wanderer zu behaglicher Rast. - Wer ruhend und Waldesfrieden genießen will, dem weiß ich sein schöneres Plätzchen als dieses. Über uns die rauschenden Wipfel der Bäume, unter uns das muntere Plätschern und Springen des Baches, dessen hastende Fluten den Berghang umspielen, sonst aber Friede, tiefster Friede!

Ein Wegzeiger weist hinauf zum Plateau, wo der Verschönerungsverein ein Schwimmbad mit frischem und doch ungemein mildem, moorigen Wasser eingerichtet hat, welches sich zahlreichen Zuspruchs erfreut. Wir aber bleiben unten und wandern weiter den Bach entlang. An einer Krümmung des Tales steht hart am Weg eine offene Bretterhütte mit einer Ruhebank. Es ist die Stoltingsruh, eines der schönsten Plätzchen, die es geben mag. Von dunklen Fichten umrahmt, schauen hier die hellgrünen Riefenköpfe, die Wächter des Oytales herein, ein Bild, das wohl jedes empfängliche Gemüt entzückt, so oft man es auch schauen mag, zumal am Morgen oder Abend, wenn die eine Talseite im Schatten liegt und die Lichtkontraste wirksam werden. Früher führte hier ein Steg zum rechten Ufer. Das Hochwasser, das ihn wegriß, nötigte dazu in weiter flußaufwärts zu legen. Hart am Ufer des hier sehr reißenden Baches wandern wir weiter. Auf der neuen Brücke, welche bereits einen schönen Ausblick auf den in blauer Ferne sichtbaren Talschluß gewährt, gehen wird über zum anderen Ufer, auf welchem der Weg in tiefem Schatten am Bergeshang weiterführt, bis wir vor einer engen Waldschlucht stehen, aus welcher schäumend ein starker Bach hervorströmt, um sich sogleich mit der Trettach zu vereinen. Es ist der Eingang zum schönen Oytal, das wir später noch kennen lernen werden.

Wir überschreiten den Oybach und wandern auf ebener Wiese zum reizend gelegen Weiler Gruben, wo köstliche Milch, Wein und Kaffee zu haben ist. Von der Veranda und dem sich an dieselbe schließenden Wirtschaftsgarten hat man eine hübsche Aussicht nicht nur das Tal hinauf, sondern auch hinüber über den Höhenrücken des Burgstalles auf die westlich vom Illertal gelegenen Berge, besonders auf den über dem Freibergsee sich erhabenden Schlappolt. Der weitere Weg, der über Weideland führt, ist vom Verschönerungsverein mit einer doppelten Baumreihe versehen, welche bald erwünschten Schatten geben wird.

An der Haseltopfbrücke, die über eine hübsche, vom Bache gebildete Klamm herüberführt, trifft unser Pfad mit der Jahrstraße zusammen, welche von Oberstdorf her über den Burgstall nach Spielmannsau führt und hier eine Abzweigung nach Gerstruben entsendet. Wir überschreiten diese Brücke, um auf der linken Talseite auf der Fahrstraße unsern Weg fortzusetzen, der von hier aus am Hang des Himmelsschrofen hinzieht und schöne Ausblicke über das Tal gestattet, ist er die Perle dieses Tales. Tiefblau schimmern seine Wasser, und doch sind sie durchsichtig bis auf den Grund. Entzückend schön und stimmungsvoll ist das Bild, das sich uns entfaltet, wenn wir am Nordufer stehen.

Orginal-Beitrag

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